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Interview: Gute Betreuung im Fokus

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Gute Betreuung ist entscheidend für eine erfolgreiche Promotion. Die Beziehung zwischen Promovierenden und Betreuenden wirkt sich nicht nur auf den gesamten Promotionsprozess aus, sondern fördert im besten Fall die Begeisterung für Wissenschaft und Forschung und trägt zur persönlichen Weiterentwicklung der Promovierenden bei. Wir haben mit Prof. Felix Brandt, Preisträger des TUM Supervisory Award 2021, Graduate Dean Prof. Hans-Joachim Bungartz und unseren Graduate Council Sprechern darüber gesprochen, was gute Betreuung ausmacht, welche Vor- und Nachteile virtuelle Betreuung mit sich bringt und wie sie sich selbst und andere motivieren.

 

Seit 2018 zeichnet der TUM Graduate Council jährlich eine*n Promotionsbetreuende*n mit dem Supervisory Award für hervorragende Betreuung aus. Warum wurde der TUM Supervisory Award ins Leben gerufen?

GC: Betreuung ist eins der entscheidenden Themen während der Promotion. Nach einer Umfrage unter Promovierenden haben wir gemerkt, dass hier allerdings nicht immer alles rund lief. Es existierten zwar bereits einige Maßnahmen zur Verbesserung der Promovierenden-Betreuung an der TUM, wie beispielsweise die verpflichtende Betreuungsvereinbarung, allerdings hatten wir den Eindruck, dass diese noch nicht ausreichen. Wir im Graduate Council wollten das Thema stärker auf die Agenda setzen und zusätzliche positive Anreize für Betreuende setzen, sich intensiver mit der eigenen Betreuungsstätigkeit auseinanderzusetzen. Nach vier Jahren können wir sagen, dass der Award auf jeden Fall dazu beigetragen hat, dass das Thema jetzt TUM-weit mehr Aufmerksamkeit bekommt. Es gibt mittlerweile neue Initiativen in diesem Bereich, z. B. einen Workshop zu guter Betreuung am TUM Institute for LifeLong Learning.

Der Gewinner des Supervisory Award in 2021 ist Prof. Dr. Felix Brandt. Warum ist die Wahl auf ihn gefallen und wie entscheidet der Graduate Council über den Award?

Es gab viele Gründe, warum die Wahl auf Felix Brandt gefallen ist, allen voran, dass er Präsenz zeigt und immer kurzfristig für seine Promovierenden verfügbar ist. Dazu gehören eine Open-Door-Policy und regelmäßige Treffen mit den Promovierenden. Besonders hervorgetan hat er sich auch durch seine Flexibilität in Sachen Arbeitszeit und Homeoffice, was in seiner Arbeitsgruppe auch schon vor der Corona-Pandemie ermöglicht wurde. Seine Promovierenden schätzen außerdem seine Führungsqualitäten und Teamfähigkeit. Herr Brandt engagiert sich für eine angenehme Forschungs- und Arbeitsatmosphäre und konnte sich gegen insgesamt 70 Mitbewerber*innen durchsetzen. Unser Entscheidungsprozess und unsere Kriterienliste sind öffentlich zugänglich und daher ganz transparent: Nach der Nominierungsphase, in der Promovierende Kandidat*innen vorschlagen können, wird zunächst School-/fakultätsweit gewählt. Unsere Arbeitsgruppe sichtet dann die Unterlagen und wir diskutieren im Anschluss im gesamten Graduate Council die Vorschläge. In einer geheimen Wahl wird dann der*die Preisträger*in bestimmt.

Herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung mit dem Supervisory Award, Herr Brandt! Wussten Sie im Vorfeld, dass Ihre Promovierenden Sie für den Supervisory Award nominieren wollten und was haben Sie in dem Moment gedacht, als Sie von Ihrer Auszeichnung erfahren haben?

Danke für die Glückwünsche! Ich wusste im Vorfeld von nichts. Das war eine sehr erfreuliche Überraschung. An dem Tag, als ich von der Auszeichnung erfahren sollte, hatte einer meiner  Doktoranden angekündigt, dass sich Vertreter*innen der Fachschaft wegen eines anderen Themas mit mir besprechen wollen. Als dann insgesamt drei Vertreter*innen des GC und alle meine Doktoranden zu dem Termin aufgetaucht sind, war ich sehr verwirrt, und hatte vergeblich versucht, die Unbeteiligten aus dem Raum zu schicken. Umso mehr habe ich mich natürlich gefreut, als ich erfahren habe, worum es wirklich geht. Besonders glücklich bin ich darüber, dass meine Doktoranden offenbar zufrieden mit ihrer Betreuung sind. Während der Corona-Lockdowns hatte ich oft das Gefühl, mich nicht genug um die Promovierenden kümmern zu können. Ich bin dem GC und meinen Doktoranden sehr dankbar für die Nominierung und Auszeichnung.

Der Supervisory Award ist dotiert mit einem Preisgeld von 5000€ durch den Bund der Freunde der TUM e.V., welches den Promovierenden zugutekommen soll. Was haben Sie mit dem Preisgeld geplant?

Bisher habe ich es noch nicht investiert. Wenn es die Pandemie erlaubt, habe ich vor, in diesem Jahr ein „Forschungsretreat“ an einem schönen Ort zu organisieren und dazu dann meine aktuellen sowie ehemalige Doktorand*innen einzuladen. Ein paar meiner ehemaligen Doktoranden sind mittlerweile selbst Professoren, da wäre es schön, wenn die jungen Promovierenden von den Erfahrungen der Ehemaligen zusätzlich lernen können.

Was bedeutet aus Sicht des Graduate Council „gute Betreuung“ und was ist eine eher suboptimale Betreuung? Bei der Kindererziehung wird oft von „Helikoptereltern“ gesprochen, die ihre Kinder zu sehr bemuttern und ihnen zu wenig zutrauen. Kann es auch zu viel Betreuung durch „Helikopterdoktorväter*mütter“ geben?

Gute Betreuung hat viele Facetten. Da geht es zum Beispiel anfangs um die Unterstützung beim Entwickeln einer Forschungsfrage oder das Planen einer Publikationsstrategie. Insgesamt muss sich Betreuung aber von Person zu Person immer wieder anpassen – es ist also zentral, die unterschiedlichen Charaktere der Promovierenden sowie Betreuenden zu respektieren und zu berücksichtigen. Suboptimal wäre es, immer das gleiche Schema auf alle Promovierenden anzuwenden. Auch wenn der Begriff Helikopterväter*mütter negativ konnotiert ist, gibt es Kinder, die sich viel Kontakt wünschen und genauso ist es bei den Promovierenden. Daher kommt es immer auf die Perspektive an, ob es zu viel Betreuung geben kann oder nicht. Es liegt  an den Betreuenden und Promovierenden, die richtige Balance zu finden.

Herr Bungartz, Sie haben zwei verschiedene Bezüge zum Thema Betreuung – einmal in Ihrer Funktion als Graduate Dean und einmal als Dissertationsbetreuer für Ihre eigenen Promovierenden. Gibt es Situationen, wo Ihre beiden Rollen in Konflikt geraten? Und was bedeutet gute Betreuung für Sie?

Konflikte gibt es natürlich, aber eher im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis. Der Graduate Dean in mir weiß, wie Betreuung aussehen sollte, gerade auch aus den vielen aktuellen Diskussionen zum Thema auf internationaler Ebene. Der Dissertationsbetreuer in mir weiß das auch, aber die zeitliche Praxis diktiert häufig etwas Anderes. In manchen Situationen denkt man, man müsste, könnte, sollte viel mehr tun, aber kriegt es einfach nicht hin. Das hängt auch damit zusammen, dass keine zwei Betreuungsverhältnisse gleich sind oder gleich ablaufen. Die Kernaufgaben für mich sind Unterstützung, wo es nötig ist, und gleichzeitig ausreichend Freiheiten zu geben. Es ist wichtig, nicht zu sehr die eigenen Projektvorstellungen auszuleben, sondern die Promovierenden auch mal machen zu lassen. Ein anderer Konflikt ergibt sich häufig insbesondere in den MINT-Fächern, wenn der*die Betreuende gleichzeitig Vorgesetzte*r des*der Promovierenden ist. Wenn z.B. in der Klausurenphase 2.600 Prüfungen zu korrigieren sind, muss ich als Chef meine Mitarbeitenden einspannen, auch aus Verpflichtung den Studierenden gegenüber. Mir ist bewusst, dass ich dann die zeitliche Grundlage für die Promotion für drei bis vier Wochen nahezu entziehe. Das ist eine blöde Situation, die aus dieser Doppelrolle entsteht. Aber genau im Umgang mit solchen schwierigen Situationen zeigt sich wiederum gute Betreuung. 

Herr Brandt, wie würden Sie Ihren persönlichen Betreuungsstil definieren? Gibt es aus Ihrer Sicht unterschiedliche Herangehensweisen für eine gute Betreuung- z.B. je nach Persönlichkeit und Situation des*der Promovierenden, oder haben Sie eine feste Vorgehensweise bei der Betreuung aller Promovierenden?

Erst einmal möchte ich mich anschließen – Betreuung ist immer total individuell, genauso wie die Beziehung zu jedem*jeder Promovierenden. Bei der Betreuung ist es mir besonders wichtig, Begeisterung und Spaß für wissenschaftliches Arbeiten zu wecken und zu fördern. Denn in der Wissenschaft ist die eigene Motivation und Begeisterung noch einmal wichtiger als in manch anderem Beruf. Am Anfang der Promotion, wo viele Promovierende ohne konkreten Plan und große Fortschritte dastehen, versuche ich Frustration zu vermeiden, indem ich bei der Findung einer guten Mischung aus großen und kleinen Forschungsfragen unterstütze. Außerdem fördere ich von Anfang an die Arbeit im Team und den Austausch zwischen Promovierenden – nicht nur, weil es mehr Spaß macht, gemeinsam an einem Problem zu arbeiten, sondern weil es oft viel effektiver ist. Dadurch, dass unsere Arbeitsgruppe recht klein ist, haben wir eine eher familiäre Atmosphäre, die Türen stehen offen. Einmal im Jahr führe ich mit den Doktorand*innen ein längeres Einzelgespräch, um die Fortschritte und Pläne zu besprechen, aber auch persönliche Anliegen. Generell möchte ich eine offene Atmosphäre schaffen, in der niemand Angst hat, Fehler zu machen. Das lebe ich vor, indem ich selber ab und zu Ideen einbringe, die sich als unausgegoren oder unfruchtbar herausstellen.

Welche Rolle spielt Betreuung und die Persönlichkeit des*der Betreuenden während einer Promotion für die persönliche Entwicklung des*der Promovierenden?

GC: Wir glauben beide Aspekte spielen eine sehr große Rolle. Betreuung ist eine Art Spiegel: Promovierende haben z.B. oft die Aufgabe, selber Studierende zu betreuen. Dabei spiegeln sich natürlich auch die eigenen Erfahrungen in der Betreuung von Studierenden wider. Das gleiche gilt, wenn man nach der Promotion eine leitende Position einnimmt, ob in der akademischen Welt oder der Industrie, die vorgelebte Betreuung prägt sicherlich die berufliche und persönliche Weiterentwicklung und den Umgang mit Promovierenden oder Mitarbeiter*innen. Das gilt besonders für den Umgang mit Konflikten oder schwierigen Situationen, von denen Herr Bungartz vorhin gesprochen hat.

HJB: Ich glaube, das ist ein ganz zentraler Punkt, der sich in beide Richtungen auswirkt, sowohl zum Positiven als leider auch zum Negativen. Wenn jemand in einer nicht so glücklichen Betreuungssituation war, hört man oft das Argument: „Ich habe das ja auch überstanden.“ Es ist leider ganz typisch, dass man eben nicht aus einem Negativbeispiel lernt und dann bewusst dagegen steuert. Darum ist es so wichtig, gute Betreuung vorzuleben.

Herr Bungartz, wie hat sich Betreuung aus Ihrer Sicht in den vergangenen Jahren entwickelt, z.B. im Vergleich zu damals, als Sie selber promoviert hatten?  Betreuen Sie Ihre Promovierenden heute anders als z.B. vor 10 Jahren? 

Heute stehen diese Themen einfach viel stärker auf den Agenden als früher. Das ist auch vielen neuen Vereinigungen zu verdanken, die hierzu regelmäßig Veranstaltungen organisieren; z.B. der Universitätsverband zur Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland (UniWiND), der Council for Doctoral Education der European University Association oder der Global Summit des Council of Graduate Schools. Betreuungsqualität ist heute eines der Hauptthemen, das gilt auch für Themen wie Mental Health oder Wellbeing. Darüber hat vor 30 Jahren kaum jemand gesprochen, da hieß es einfach, „die müssen da durch, wir sind da auch durch“. Heute finden diese Themen zum Glück mehr Beachtung. Es geht im Betreuungskontext viel um Qualitätssicherung und Bad-Case-Prevention & -Handling, was mittlerweile breiten Eingang in die Praxis gefunden hat. An dem Promotionskontext selbst hat sich aus meiner Perspektive nicht allzu viel geändert, z.B. in Bezug auf unterschiedliche Fachkulturen oder große vs. kleine Arbeitsgruppen. Natürlich sieht eine Promotion an einem Lehrstuhl mit 100 Mitarbeitenden anders aus als in Herrn Brandts Arbeitsgruppe – das heißt aber nicht, dass hier keine gute Betreuung stattfinden kann, man muss es dementsprechend organisieren. Bei mir selbst hat sich sicherlich geändert, dass ich im Lauf der Zeit effizienter geworden bin. Ich versuche mit kleinerem Zeiteinsatz die Qualität weiterhin hochzuhalten. Eine Technik, die sich bewährt hat, ist die Forschung stärker zur Teamsache zu machen und dabei auf peer-to-peer-Instrumente zu setzen. Natürlich gibt es hier manchmal Zurückhaltung aufgrund der natürlichen Tendenz, das eigene Promotionsthema zu hüten und zu sichern, die man aber mit einer guten Teamatmosphäre und offener Kommunikation überwinden kann.

Herr Brandt, wie haben Sie es geschafft, gute Betreuung Ihrer Promovierenden während der anhaltenden Corona-Pandemie zu gewährleisten? Was waren oder sind die größten Herausforderungen? Hat sich an Ihrem Betreuungsverhalten etwas verändert bzw. werden Sie Ihre Promovierenden nach Ende der Pandemie anders betreuen als vor der Pandemie?

Gerade der Lockdown war eine schwierige und unangenehme Zeit, da gab es Fälle, in denen Mitarbeitende zu Dienstbeginn nicht einmal ihr Büro beziehen und ihre Kolleg*innen kennenlernen konnten. Auch ich selbst war durch das Home-Schooling meiner zwei Söhne zusätzlich vormittags eingespannt. Wie alle anderen haben wir natürlich in dieser Zeit gelernt, dass manche Online-Tools sehr hilfreich sein können – beim gemeinsamen Arbeiten an Dokumenten oder Foliensätzen manchmal sogar besser als vor Ort. Außerdem ist die Hemmschwelle für Online-Meetings deutlich gesunken und manche Dinge lassen sich einfacher organisieren. Auf diese Weise kann man Vieles auffangen. Insgesamt kann ich der Pandemie aber nicht viel Positives abgewinnen. Für mich wurde wieder deutlich, wie essentiell die Arbeit in Präsenz ist. Beim gemeinsamen täglichen Mittagessen und zwischen Tür und Angel entstehen so viele interessante Gespräche und Diskussionen, die durch nichts zu ersetzen sind.

Wie hat sich die Corona-Pandemie aus Eurer Sicht auf die Beziehung und das Betreuungsverhältnis von Promovierenden und Betreuenden ausgewirkt? Und wird „gute Betreuung“ nach Ende der aktuellen Pandemie von Euch anders definiert werden, z.B. werden die Kriterien für den Supervisory Award künftig um „digitale Betreuungskomponente“ angepasst? 

Wir sehen das ganz ähnlich wie Herr Brandt. Auf der einen Seite gab es die durchaus positive Entwicklung, dass sich Betreuende und Promovierende jetzt kurzfristig online treffen konnten, wo zuvor der*die Betreuende vielleicht keine Zeit gefunden hätte. Auf der anderen Seite haben wir im Graduate Council auch gemerkt, dass die persönlichen Treffen einfach fehlen. Von daher muss dieser soziale Aspekt in Zukunft bei Betreuung wieder mehr Beachtung finden. Und natürlich hat das Thema Homeoffice extrem an Relevanz gewonnen, was wir jetzt beim Supervisory Award stärker mitdenken. Auf einmal waren alle Lehrstühle und Professuren angehalten, Homeoffice zu ermöglichen, was vor 2020 noch an vielen Stellen kategorisch abgelehnt wurde. Wieviel Flexibilität dann künftig in Bezug auf Arbeitsort und Arbeitszeit ermöglicht wird, ist auf jeden Fall ein wichtiges Kriterium.

Herr Bungartz, kann Ihrer Meinung nach die Pandemie als Einschnitt in der bisherigen Betreuungspraxis an der TUM gesehen werden, z.B. hinsichtlich dem Einsatz digitaler Mittel?

Die Pandemie wird als Einschnitt in die Geschichte eingehen, und das betrifft natürlich auch die Promotion. Dennoch war die Promotion schon immer relativ flexibel und individuell, und daher etwa im Vergleich zu Studium und Lehre weniger betroffen, wobei man natürlich zwischen den Fächern und Projekten differenzieren muss. Bei der Betreuung sind digitale Methoden jetzt viel natürlicher, als sie vorher waren. Auch die Art und Weise, über Internationalisierung nachzudenken, hat sich gewandelt – man muss sich nicht mehr für jede Besprechung ins Flugzeug setzen. Das Zuschalten von einem*einer Co-Betreuenden, der*die z.B. in Buenos Aires sitzt, ist jetzt viel einfacher und spontaner möglich. Insgesamt glaube ich aber, dass sich durch die Pandemie im Bereich Betreuung gar nicht so viel verändert hat. Die Pandemie legt vielmehr den Finger erbarmungslos in die Wunde: Wenn ein Betreuungsverhältnis schon vorher wackelig war, dann ist es in den vergangenen zwei Jahren wahrscheinlich noch wackeliger geworden. Dort, wo dagegen ein gutes Betreuungsverhältnis etabliert war, wurden sehr schnell Mittel und Wege gefunden. Klar ist das nicht immer schön gewesen, aber man hat sich arrangiert. Dort, wo das alles schon an einem sehr dünnen Faden hing, war das Risiko, dass dieser Faden reißt, in einer pandemischen Situation sicherlich größer.

Die globale Pandemie unterstreicht erneut die Wichtigkeit der mentalen Gesundheit und Work-Life Balance. So ging auch für viele Promovierende die Pandemie z.B. mit erschwerten Arbeitsbedingungen, Planungsunsicherheit und weniger sozialen Kontakten einher. Wie wichtig ist die Frage nach der mentalen Gesundheit und Work-Life Balance der Promovierenden für den Graduate Council?

Beide Fragen sind für uns sehr wichtig. Gerade werten wir Umfragen aus den letzten beiden Jahren unter den Promovierenden aus, wo es genau darum ging: Wie beeinflusst die Pandemie mein tägliches Arbeiten und auch meine psychische Belastung? Als Graduate Council möchten wir diese Themen stärker in den Fokus rücken und sicherstellen, dass Promovierende immer eine Anlaufstelle finden. Unsere Aufgabe ist dabei, Promovierende an die richtigen Stellen verweisen zu können, wie z.B. auf Kurse der Graduate School, die in diesem Bereich angeboten werden oder existierende Beratungsangebote an der TUM. Außerdem sollte es in einem guten Betreuungsverhältnis auch möglich sein, private Themen oder Probleme anzusprechen.

Wie stellt Ihr Eure eigene Work-Life Balance sicher?

Für uns als Graduate Speaker ist es sehr wichtig, einen funktionierenden Zeitplan zu haben. Gleichzeitig sollte man sich auch genügend Zeit für komplett andere Dinge neben der Promotion oder dem Engagement im Graduate Council nehmen, um sich darauf zu besinnen, dass sich nicht alles dauerhaft um dieses eine große Projekt drehen muss. Offene Kommunikation und der Austausch mit anderen sind hierbei auch ganz zentral.

Herr Brandt, wie können Sie als Betreuer Ihre Promovierenden bei der Verbesserung der mentalen Gesundheit und der Work-Life Balance unterstützten?

Mit der Work-Life-Balance tue ich mich selbst manchmal schwer und bin vermutlich kein besonders gutes Vorbild. Ich habe den Eindruck, vielen Doktorand*innen gelingt es besser als mir, beim nach Hause gehen den Schalter umzulegen und ein Problem bis zum nächsten Tag ruhen zu lassen. Themen wie Work-Life Balance scheinen in der jungen Generation viel präsenter zu sein. Was die mentale Gesundheit angeht, insbesondere während der Pandemie, kann ich nur noch mal betonen, dass  ich den persönlichen Austausch mit anderen Menschen für sehr wichtig halte. Viele Promovierende leben in recht kleinen Wohnungen, teilweise in fremden Städten und freuen sich darauf, täglich zum gemeinsamen Arbeiten in die Uni kommen. Deswegen habe ich versucht, sobald es irgendwie ging, die Arbeit in Präsenz zu ermöglichen. Da wir eine kleine Gruppe sind, hatten wir zum Glück ausreichend Platz, um uns auf mehrere Seminarräume zu verteilen, sodass der erforderliche Abstand eingehalten werden konnte.

Herr Bungartz, die andauernde Pandemie stellt sicherlich auch Sie selbst vor einer ungewohnten Situation. Wie hat die Pandemie Ihren Arbeitsalltag verändert? Wie wirken sich die Pandemie und die Vielzahl an virtuellen Meetings auf Ihre eigene Work-Life Balance aus?

Der Arbeitsalltag ist wie bei den meisten anderen wesentlich lokaler geworden. Damit meine ich nicht nur den Wegfall von Reisen, sondern auch Ortswechsel innerhalb des Gebäudes, um sich mit jemandem zu treffen. Man sitzt vor dem Bildschirm. Was allerdings nicht eingetreten ist, sind mehr Freiheiten durch die entfallenen Transferzeiten. Stattdessen wurden diese sehr schnell gefüllt, sodass man also jetzt bis 11:59 Uhr in Brüssel ist und ab 12:00 Uhr in Berlin. Man kann eben kaum verschnaufen und den Schalter umlegen. Für mich wurde dann plötzlich pro Tag tatsächlich mehr möglich – und eben auch Realität. Auf den ersten Blick hat die Situation also vielleicht sogar zu einer gesteigerten Produktivität geführt. Wie es auf den zweiten und dritten Blick aussieht, ist wiederum eine andere Frage.

Wie schaffen Sie es, sich selbst und ihre Promovierenden in der andauernden Pandemie zu motivieren?

HJB: Diese intrinsische oder eigene Motivation braucht es einfach in der Wissenschaft. Die Fremdmotivation ist sicherlich wesentlich schwieriger geworden. Natürlich gab es weiterhin offizielle Gespräche, die über Zoom geplant wurden. Aber die spontanen Gespräche auf dem Gang, beim Essen, die fehlten einfach. Ich glaube, dass dieser regelmäßige informelle Austausch ganz zentral für das Motivationsgerüst ist. Insgesamt würde ich aber sagen, dass sich die Situation wieder gebessert hat, auch weil die Hemmschwelle für kurze, lockerere Online-Meetings jetzt viel niedriger ist. Für mich persönlich war Motivation nie ein großes Thema, sondern vielmehr eine Selbstverständlichkeit, die nicht besonders von außen gefördert werden musste. Dieses Verständnis hat sich sicherlich ein Stück weit gewandelt, denn es ist definitiv schwieriger, ein hohes Maß an Motivation und Zielorientierung über die pandemische Situation hinweg zu erhalten, bei einem selbst und bei anderen.

Zum Abschluss des Interviews - was möchten Sie neuen Kolleg*innen in Sache „gute Betreuung von Promovierenden“ mit auf dem Weg geben?

HJB: Ach, solche Ratschläge sind immer schwierig. Drei Punkte vielleicht. Erstens: Auch wenn man im Laufe der Jahre an Erfahrung zulegt, ist doch jeder Betreuungskontext anders und erfordert regelmäßiges Adjustieren des eigenen Agierens. Zweitens: Gute Betreuung ist wichtig, aber mehr ist nicht automatisch besser. Drittens: Es ist wie beim Fliegen – ob ein Betreuungsverhältnis wirklich gut ist, zeigt sich insbesondere dann, wenn’s mal ruckelt.

FB: Ich weiß nicht, ob ich besonders geeignet bin, neuen Kolleg*innen wertvolle Tipps zu geben. Ich lerne selbst noch permanent dazu. Ein Aspekt, der mir persönlich sehr wichtig ist, ist es den Promovierenden Freude am Schreiben von wissenschaftlichen Aufsätzen zu vermitteln. Das sind die Produkte ihrer Arbeit und idealerweise sollten sie die Aufsätze schreiben, auf die sie in zehn Jahren noch stolz sein können.

Was ratet Ihr Promovierenden, die noch ganz am Anfang der Promotion sehen, wie sie im Promotionsalltag zu einer gesunden Work-Life Balance finden?

Nicht nur am Anfang einer Promotion kann es zu Phasen kommen, in den Ausdauer gefragt ist. Wesentlich für die gesamte Promotion ist ein regelmäßiger Austausch mit Personen, die ebenfalls die Zeit einer Promotion erlebt haben oder erleben. Des Weiteren sollten bei der Planung der Promotionszeit bereits Freiräume für Tätigkeiten außerhalb der Promotion eingeplant und eingehalten werden.

Lieber Herr Bungartz, lieber Herr Brandt und liebe Graduate Council Speaker, wir danken Ihnen/Euch für das Interview!

Supervisory Award 2022 - Jetzt Betreuer*in nominieren

Der Supervisory Award geht in die nächste Runde. Noch bis zum 14. März können Promovierende ihre*n Betreuer*in für den Supervisory Award 2022 nominieren. Alle weiteren Information finden Sie auf der Website des Graduate Council.